Tobias Bauschke Tobias Bauschke

Freiheit in Zeiten der Regression – Warum Deutschland einen neuen Liberalismus braucht

Wenn Freiheit in einer Demokratie zur erklärungsbedürftigen Idee wird, ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten. In Deutschland ist es so weit. Der politische Liberalismus, einst Garant für Bürgerrechte, Marktwirtschaft und kulturelle Offenheit, wird zunehmend als Relikt betrachtet – wahlweise als elitär, naiv oder ökonomistisch. Der Rauswurf der Freien Demokratischen Partei aus Bundestag und Berliner Abgeordnetenhaus scheint diese These zu bestätigen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Die Niederlage der FDP markiert nicht das Ende liberaler Politik – sie ist vielmehr ein Symptom dafür, wie sehr liberales Denken aus dem politischen Diskurs verdrängt wurde. In einer Zeit wachsender Polarisierung, autoritärer Versuchungen und sicherheitsstaatlicher Reflexe braucht Deutschland mehr Liberalismus, nicht weniger. Aber nicht irgendeinen Liberalismus – sondern einen, der sich seiner selbst wieder sicher ist. Der sich nicht länger über Taktik definiert, sondern über Haltung. Der mehr sein will als nur das bessere Management – nämlich die überzeugende Erzählung von Freiheit im 21. Jahrhundert.

Vom mündigen Bürger zur politischen Infantilität

„Der Mensch ist von Natur aus frei und gleich“, schrieb John Locke im 17. Jahrhundert – ein Gedanke, der zur Grundlage der modernen Verfassungsstaaten wurde. Freiheit war in der politischen Philosophie nie eine Selbstverständlichkeit, sondern ein Emanzipationsversprechen: gegen den Leviathan, gegen Bevormundung, gegen autoritäre Herrschaft.

Doch dieses emanzipatorische Versprechen verliert heute an Resonanz. Viele Menschen suchen nicht mehr Autonomie, sondern das Kollektiv. Nicht Verantwortung, sondern Absicherung. In diesem Klima feiern neosozialistische und nationalpopulistische Ideen fröhlich ihr Comeback. Der eine Flügel verspricht Rettung durch einen allmächtigen Transferstaat, der andere durch Abschottung und autoritäre Ordnung. Und beide eint eine tiefsitzende Skepsis gegenüber dem liberalen Menschenbild: der Vorstellung, dass Individuen in freier Entscheidung zu einem guten Leben finden können – ohne staatliche Daueranleitung.

Das Ideal des „mündigen Bürgers“ – ein zentraler Begriff der Aufklärung – wird zunehmend ersetzt durch das Bild eines verletzlichen, schutzbedürftigen Subjekts, das es zu umsorgen gilt. Dabei war die Stärke liberaler Ordnungen immer, dass sie nicht auf moralische Gleichschaltung setzten, sondern auf das Aushandeln unterschiedlicher Lebensentwürfe. Freiheit als Konfliktlösungsform – nicht als Harmonieversprechen.

Die FDP zwischen Regierungsverantwortung und Selbstverfehlung

Die Freien Demokraten haben in der letzten Regierungsperiode durchaus Verantwortung übernommen. Digitalisierung, Technologieoffenheit, Haushaltsdisziplin – all das trug sichtbar liberale Handschrift. Und dennoch: Der Preis war hoch. Im politischen Alltag zwischen Koalitionsdisziplin und innerer Zerrissenheit wurde das eigene Profil schleichend verdünnt.

Das Wahlergebnis war nicht Ausdruck eines allgemeinen Desinteresses an liberalen Inhalten. Es war Ausdruck eines Vertrauensverlusts in die politische Erkennbarkeit der FDP. Zu oft hat man versucht, es allen recht zu machen. Zu selten hat man gesagt, wofür man steht – und wofür eben nicht.

Diese Entwicklung war nicht nur das Ergebnis äußerer Umstände oder feindseliger medialer Begleitung. Sie war auch ein hausgemachtes Problem. Eine Partei, die Freiheit zum Markenkern erklärt, muss auch die Kraft haben, unbequeme Wahrheiten auszusprechen – nach innen wie nach außen. Der Fehler lag nicht nur in der Kommunikation, sondern in der Erzählung selbst: Es fehlte die Klarheit, was Liberalismus heute im Kern bedeutet.

Fortschritt ohne Freiheit ist Regression

Ein liberaler Aufbruch beginnt mit einer intellektuellen Rückbesinnung. Er fragt: Was heißt Freiheit in einer Zeit multipler Krisen?

Isaiah Berlin unterschied zwischen negativer und positiver Freiheit – der Freiheit „von“ Zwang und Bevormundung, und der Freiheit „zu“ Selbstverwirklichung und Teilhabe. Beide Dimensionen sind heute gefährdet. Der Zugriff des Staates auf wirtschaftliches und privates Handeln wächst. Zugleich sinkt das Zutrauen in die Gestaltungskraft des Individuums. Die Klimapolitik wird moralisiert, statt rationalisiert. Der Sozialstaat wird ausgebaut, ohne über seine Zukunftsfähigkeit zu sprechen.

Der Liberalismus muss hier eine andere Geschichte erzählen: Wer das Klima retten will, braucht Märkte. Wer Armut bekämpfen will, braucht bessere Bildung, nicht mehr Subvention. Wer Demokratie schützen will, muss den offenen Diskurs verteidigen – gerade gegen autoritäre und moralistische Zumutungen.

Das ist nicht herzlos. Es ist Ausdruck eines humanistischen Menschenbilds: Freiheit nicht als Flucht aus Verantwortung, sondern als Voraussetzung für Verantwortung.

Was es jetzt braucht: einen neuen liberalen Humanismus

Liberalismus ist keine ökonomische Technik. Er ist eine kulturelle Haltung. Er verlangt Respekt vor der Freiheit des Anderen, Offenheit für Vielfalt, aber auch die Bereitschaft, mit Unsicherheit zu leben. Diese Haltung wird derzeit von mehreren Seiten attackiert: vom paternalistischen Wohlfahrtsdenken, von der moralischen Rechthaberei der Mitte, von der autoritären Versuchung der Rechten.

Ein neuer liberaler Humanismus müsste sich diesen Entwicklungen mit klarer Haltung entgegenstellen – selbstbewusst, ohne Opportunismus und mit einem festen Wertefundament. Er müsste den Mut haben, grundsätzliche Prinzipien neu auszusprechen: dass der Staat dem Menschen zu dienen hat – nicht umgekehrt. Dass Bildung nicht bloß Betreuung, sondern ein Aufstiegsversprechen ist. Dass Innovation nicht als Bedrohung, sondern als Lösung zu begreifen ist – der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit. Und dass Sicherheit nicht als Vorwand zur Einschränkung von Freiheit missbraucht werden darf, sondern ihre unverzichtbare Voraussetzung ist.

Nur auf dieser Grundlage kann liberale Politik wieder Vertrauen gewinnen. Nicht durch Lautstärke, nicht durch Empörung, sondern durch Haltung. Es geht nicht darum, die lauteste Oppositionspartei zu sein. Es geht darum, die freiheitlichste Stimme im Diskurs zu bleiben – auch wenn der Wind rauer wird.

Der Weg zurück beginnt mit dem Blick nach vorn

Außerparlamentarische Opposition ist (noch) kein Weltuntergang – sie ist eine Gelegenheit. Es ist der Moment, programmatisch zu klären, wohin man will. Der Moment, neue Talente zu entwickeln und die liberalen Erzählungen unserer Zeit zu schreiben. Der Moment, das Vertrauen der Menschen nicht durch Taktik zurückzugewinnen, sondern durch Überzeugung.

Die FDP hat nun die Chance, zur intellektuellen Avantgarde eines neuen Liberalismus zu werden. Nicht als Partei der Besitzstandswahrer, sondern als politische Heimat der Mutigen, der Selbstständigen, der Zukunftsgläubigen.

Der Wiedereinzug in den Bundestag wird kein Selbstläufer. Aber er ist möglich – wenn die Partei wieder sagt, was sie meint. Und meint, was sie sagt. Denn die liberale Idee ist nicht tot. Sie wartet nur auf eine Stimme, die wieder weiß, wofür sie brennt.

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