Nach der Selbstverständlichkeit. Was jetzt zu tun ist.
Die politische Bedeutung der FDP war nie naturgegeben. Sie musste stets begründet, erarbeitet und verteidigt werden. Ihre historische Stärke lag nicht in der bloßen Präsenz, sondern in ihrer Funktion: als ordnungspolitische Instanz, als intellektuelles Korrektiv, als Partei, die Freiheit nicht versprach, sondern institutionell absicherte. Liberalismus war hier kein identitätsstiftendes Etikett, sondern ein Anspruch – an den Staat ebenso wie an den Einzelnen.
Diese Tradition ist klar konturiert. Sie reicht vom staatsbürgerlichen Liberalismus eines Theodor Heuss, der Freiheit untrennbar mit Verantwortung dachte, bis zum gesellschaftlichen Liberalismus eines Ralf Dahrendorf, der die offene Gesellschaft nicht als harmonisches Ideal, sondern als konfliktreiche Ordnung verstand. Liberalismus bedeutete Zumutung: Verzicht auf einfache Antworten, Beharren auf Regeln, Vertrauen in mündige Bürger. Bequem war er nie.
Gerade darin lag seine politische Tragfähigkeit. Die FDP gewann an Gewicht, wenn sie Politik nicht als Reaktion auf Stimmungen betrieb, sondern im Maßstab institutioneller Wirkung dachte. Reformen entstanden aus Konzentration, Beharrlichkeit und intellektueller Klarheit. Freiheit war kein Versprechen auf Entlastung, sondern eine Einladung zur Verantwortung. Sie verlangte Arbeit – an Ideen, an Strukturen, an Mehrheiten.
Vor diesem Hintergrund wirkt die gegenwärtige Selbstvergewisserung von uns Liberalen irritierend. Je häufiger betont wird, dass es „eine liberale Kraft“ im Parlament brauche, desto deutlicher tritt der Bruch mit der eigenen Tradition zutage. Politische Relevanz entsteht nicht aus Existenzlogik, sondern aus Richtung. Wer seine Daseinsberechtigung erklärt, statt Gestaltungswillen zu demonstrieren, entzieht sich ordnungspolitischer Bewährung. Liberalismus wird so vom Gestaltungsanspruch zur Verteidigungsrhetorik.
Hinzu kommt ein zweiter, subtilerer Verlust. Der Liberalismus der FDP war stets ein Gegenmodell zur politischen Pose. Er lebte von Maß, nicht von Lautstärke; von Substanz, nicht von Beschleunigung. Freiheit war keine Bühne, sondern eine Verpflichtung zur Selbstbegrenzung – gerade dort, wo Macht verführerisch ist. Wo sie zur bloßen Geste wird, verliert sie ihre ordnende Kraft. Aufmerksamkeit ersetzt keine politische Autorität.
Auch hier gilt: Liberalismus lässt sich nicht verkürzen. Weder auf organisatorische Routinen noch auf kommunikative Strategien. Er ist keine Stilfrage, sondern eine Ordnungsfrage. Politische Autorität erwächst nicht aus fachlicher Richtigkeit allein, sondern aus der Bereitschaft, für eine Ordnungsidee einzustehen – auch dann, wenn sie widerspricht, verzichtet, unpopulär ist.
Doch Freiheit bleibt folgenlos, wenn sie abstrakt bleibt. Überzeugend war der Liberalismus der FDP immer dann, wenn er erfahrbar wurde: in Bildungswegen, die Aufstieg ermöglichten; in wirtschaftlicher Dynamik, die Wohlstand schuf; in einem Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentrierte. Wo diese Übersetzung ausbleibt, entsteht Distanz – und mit ihr schwindet Vertrauen.
Der Blick nach vorn ist daher unmissverständlich. 2026 entscheidet nicht, ob Liberalismus gebraucht wird. Diese Frage ist längst beantwortet. Entscheidend ist, ob wir bereit sind, ihn mit der nötigen Ernsthaftigkeit neu zu begründen – nicht als Besitzstand, sondern als Angebot. Nicht im Modus der Selbstverständlichkeit, sondern im Bewusstsein des Wettbewerbs um Freiheit.
Der Liberalismus in Deutschland wird nicht an seinen Gegnern scheitern. Er droht an seiner eigenen Bequemlichkeit zu scheitern. Wenn er nicht wieder als Anspruch gelebt wird, sondern als Identität verwaltet, verliert das Land mehr als eine Partei. Es verliert eine politische Idee, die Ordnung, Freiheit und Verantwortung zusammenzudenken wusste.
